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  • AutorenbildBergrettung OÖ

Lawineninfo #2 - am 20. Jänner 2024

Unser Lawineninfo ist gedacht für alle, die sich mit Schnee und Lawinen auseinandersetzen wollen. Wir sammeln Lawinenereignisse, versuchen sie zu analysieren und wollen unsere Beobachtungen über die ständige Veränderung der Schneedecke mit euch teilen.


„Die etwas andere Lawinenzeit.“ 07.01-14.01 (vor allem 13. & 14.01)


Klaus Hoi (ehemaliger Ausbildungsleiter der österreichischen Bergführerausbildung) beschreibt seit vielen Jahren das interessante Phänomen der sogenannten ‚Lawinenzeit‘. Er meint damit, dass während bestimmter, kurzer Zeiträume eines Winters ein stark erhöhtes Lawinenrisiko besteht. Die meisten, von ihm definierten Lawinenzeiten, sind aber meist auf schneearme Winterbeginne und somit auf Bildung von bodennahen Altschneeproblemen zurückzuführen.

Unsere ‚etwas andere Lawinenzeit‘ hat jedoch einen anderen Ursprung und ist vielmehr auf Bildung eine Zwischenreifes (Bildung in KW1 – siehe Lawineninfo #1) bzw. auf Ablagerung von Triebschnees auf lockeren kalten Schichten und/oder auf Oberflächenreif zurückzuführen.

Der Reihe nach. Eine aggressive Schwachschicht wurde am Dreikönigswochenende erkannt und in den darauffolgenden Tagen wurde versucht, die Position des Problems einzugrenzen. Auf der Kreuzmauer / Mühlauer Sattel (Süd, 1800 Meter) wurde beispielsweise am 09.01 ein ähnlicher Schneedeckenaufbau gefunden aber die dünne Zwischenkruste war stärker ausgeprägt und die Schwachschicht nicht homogen verbreitet bzw. nicht mehr aggressiv. Ein Lawinenabgang vom Vortag im Bereich Mühlauer Stadel / Esslinggraben deutete aber immer noch auf eine angespannte Situation hin.


Heli Steinmassl und Lukas Trinkl bei einer der unzähligen Schneedeckenbeurteilungen. (09.01.24)


Lawinenablagerung Bereich Mühlauer Stadel auf ca. 1400 Meter. (vermutlich vom 08.01.24)

Anderen Berichten


Anderen Berichten zufolge wurde die Schwachschicht aber wiederum gefunden. Beispielsweise am Kl. Bösenstein / Rottenmanner Tauern (2100m – 11.01) und am Krippenstein (2000m – 13.01). In diesen Bereichen war sie höchst störanfällig und Tests konnten leicht ausgelöst werden.


Am Nachmittag des 09.01 setzte starker Südwind ein (bis zu 70km/h) und lagerte auch erstmals wieder Wind im Nordsektor ein bzw. wurde die Schneeoberfläche in den nordseitigen Tälern des Pyhrn Priel Massivs stark windbeeinflusst. Das Wetter war zu Wochenmitte strahlend schön aber guter Pulverschnee war nur mehr vereinzelt zu finden und es benötigte eine gute Spürnase für genussvolle Abfahrten. Das Wetter war jedoch einschließlich der Nacht auf Samstag im Bergland sonnig und klar und diese klaren Nächte begünstigen die Reifbildung an der Oberfläche. Dieser Oberflächenreif stellt erst bei Überlagerung durch Triebschnee oder ähnlichem ‚bretttauglichem Schnee‘ eine Gefahr dar. Stichwort: überlagerndes Brett.


Zum Wochenende drehte der Wind wieder auf die Hauptrichtung Nordwest und es wurden umgehend Triebschneeablagerungen gebildet. Folglich ereigneten sich mehrere Lawinenabgänge in kurzer Zeit. 13.01: Dietlhölle / Rinnlucken und Großer Priel / Kühkar bzw. am 14.01 am Gr. Tragl / Jungbauernkreuz und Gosaukamm / Gamsriesn. Jeweils wurde bei den Abgängen eine Person mitgerissen aber zum Glück wurde niemand dabei verletzt.

Auf das Lawinenereignis vom Traunstein wird aufgrund nicht vorhandener Informationen und aus Respektsgründen nicht eingegangen. Wir verurteilen jeglicher Art von Vorverurteilung durch fachliche Laien (vor allem in den Soziale Medien und am Wirthausstammtisch) und finden den kompletten Absturz der Empathie gegenüber den Opfern schwer bedenklich.


Lawinenabgang Dietlhölle / Rinnlucken (Nordost) am 13.01.2024

Am Samstag, den 13.01.2024 (ca. 11:30 Uhr) wurden vier Skitourengeher bei der Abfahrt von den Dietlbüheln im Bereich der ersten Rinne (im Aufstiegssinn die erste Engstelle nach der Rinnlucken) auf ca. 1200-1100 Meter von einem Schneebrett erfasst. Eine Person wurde ca. 50 Meter mitgerissen, konnte den Airbag aktivieren und wurde somit nicht verschüttet. Laut einem weiteren Augenzeugen wurden aber keine weiteren Personen involviert. Trotz eines verlorenen Skistocks konnten die Beteiligten selbständig abfahren.

Das Ereignis wurde bei der Bergrettung Hinterstoder und im weiteren Verlauf an die Rettungsleitstelle OÖ gemeldet. Es wurde vereinbart, dass in den nächsten Tagen „nur“ die Ortstelle Hinterstoder alarmiert wird, falls andere Skitourengeher zufällig den Stock finden, um nicht die gesamte Rettungskette in Gang zu setzen.


Ursache ist vermutlich noch „verfrachtungsfähiger“ Neuschnee vom Sonntag 07.01. der im Verlauf der letzten Wochen (vor allem Dienstag 09.01 und Mittwoch 10.01) im Bereich Löckenkogel/Hochkasten eingelagert wurde. Am Morgen des 13.01 nahm der Nordwestwind noch mal beträchtlich an Fahrt auf und lagerte erneut Triebschnee in die Steilflanken des Gr. Hochkasten. Diese Triebschnee ‚Pakete‘, abgelagert vermutlich auf lockeren kalten Schichten und/oder Reif lösten sich am späten Vormittag selbst aus und donnerten in Richtung Talboden. Die Lawine ist im Abgangsbereich vermutlich nicht sehr groß gewesen aber aufgrund der enormen Wandgröße und extremen Steilheit kanalisierten sich der Schnee zu einer Lawine mittleren Größe.


Starker Westwind am Wochenbeginn und kurzer Anstieg (NW) nochmal im Laufe des Samstags. Informationen aus den Stationsmessdaten vom Lawinenstein / Tauplitz.

Bild am Ende des Lawinenabgangs aufgenommen. Links unten - die Skitourengruppe. Etwas später gingen Tal auswärts noch 2 Lawinen derselben Größenordnung ab.


Rückblende: Lawinenabgang Dietlbüheln (Südost) vermutlich 23.12.2023

Aufgrund der speziellen Geländeform muss man sich beim Aufstieg und bei der Abfahrt der Dietlhölle bzw. den Dietlbüheln sehr nah an die Nordostwand des Gr. Hochkastens begeben.

Umso höher man kommt, umso weiter erlaubt einem das Gelände, sich von den enormen Einzugsgebieten fernzuhalten. Bei den meisten Touren nehmen die Gefahrenstellen mit der Höhe zu. Hier ist es umgekehrt – die Schlüsselstelle befindet sich bereits zu Beginn. Sehr untypisch!

Auf 1750m erreicht man eine weitere Steilstufe, welche die zweite Schlüsselstelle markiert.

Diese Geländefalle kann man geschickt über eine Schleife in nördliche Richtung umgehen.

Unterschätzen sollte man aber auch hier das weitläufige, unübersichtliche und mitunter sehr steile Gelände (>35° Grad) oberhalb des sogenannten ‚Saugraben‘ nicht. Bester Beweis ist das gigantische Lawinenereignis vom vermutlich 23.12.2023.

Warum vermutlich? Erinnern wir uns zurück. Der Winterbeginn war hervorragend, mit viel Niederschlag und niedrigen Temperaturen. In der Woche vor Weihnachten war es noch kurzzeitig mild aber am 21.12 drehte sich die Situation und starker Niederschlag kombiniert mit stürmischen Wind setzte ein. Von 22. Auf 23.12 fallen gar gebietsweise bis zu 100cm in nur kurzer Zeit bei 100km/h Westwind. Gigantische Windverfrachtung sind die folge und die Gefahrenstufe liegt bei 4.

Zudem steigen die Temperaturen und die Schneefallgrenze liegt am 23.12 bei 1200m. Diese Umstände führten dazu, dass sich in dieser Zeit kurz unterhalb der Dietlbüheln eine Lawine gewaltigen Ausmaßes von selbst löste und den gesamten Saugraben hinunterdonnerte.

Dieses Monster erreichte eine Länge von 1,5 km und legte einen Höhenunterschied von 900hm zurück. Nach der Wetterbesserung um die Weihnachtsfeiertage wurde der Anriss am 26.12 das erste Mal gesichtet und am 27.12 von Heli Steinmassl analysiert und dokumentiert.


Bei dieser Analyse wurden die erstaunlichen Dimensionen, der per Definition sehr großen Lawine, sichtbar. Unglaubliche 300 Meter Breite und einen Anrissbereich von 2,65 Metern misst dieses Schneebrett. Ein furchteinflößendes Naturschauspiel der besonderen Art!



Ursache dieser massiven Triebschneeablagerung in den Dietlbüheln ist der orkanartige Sturm um Mitternacht des 22.23. Es wurden auf der Wetter-messstation Lawinenstein / Tauplitz unglaubliche 200km/h Böen erreicht, die die Verfrachtungen erklären.

Obwohl 100cm Neuschnee in nur kurzer Zeit fielen, betrug die Schneehöhe nach dem Orkan weniger als im Vorhinein.

Es lohnt sich also bei der Tourenplanung die Messdaten aus benachbarten Bundesländern einzuholen. Infos vom Grimming und der Tauplitz geben oft interessanten Aufschluss.

Bei dieser Analyse wurden die erstaunlichen Dimensionen, der per Definition sehr großen Lawine, sichtbar. Unglaubliche 300 Meter Breite und einen Anrissbereich von 2,65 Metern misst dieses Schneebrett. Ein furchteinflößendes Naturschauspiel der besonderen Art!


Lawinenabgang Gr. Priel / Kühkar (Ost) am 13.01.2024

Erst vier Tage später erreichte uns die Nachricht von einem Lawinenabgang im Kühkar auf ca. 1570m bei dem eine Person während der Abfahrt mitgerissen aber nicht verschüttet wurde.


Drei Skibergsteiger stiegen am Vormittag des 13.01. auf das Prielschutzhaus und in weiterer Folge Richtung Jausenstein (Gr. Priel) auf. Aufgrund der Lawinensituation (das Trio nahm gefährlichen Triebschnee war) kehrten sie auf 2000 Meter um und fuhren Richtung Prielschutzhaus ab. Bei der Abfahrt um ca. 15:00 wurde erneut eine gefährliche Triebschneeansammlung entdeckt und es wurde über mögliche Alternativrouten diskutiert. Der Vorausfahrende löste kurze Zeit später eine Lawine aus, die ihn mitriss aber nicht verschüttete. Der Skibergsteiger führte einen Airbag mit, den er auch auslöste und ihn vermutlich vor der Verschüttung bewahrte. Aufgrund dessen er einen Ski und Stock verloren hatte, übernachteten das Trio am nahegelegenen Prielschutzhaus. Am Morgen des 14.01 kehrten sie zum Lawinenkegel zurück und führten eine Sondierung durch. Zufälligerweise konnte der Ski auf dem 100 Meter langen Ablagerungsbereich in 70 cm Tiefe gefunden werden. Die Gesamtgröße der Lawine betrug ca. 200 Meter und 100 Breite. (Auslösebereich 35°) Laut den betroffenen Personen betrugen die Ablagerung zwischen 1 und 3 Meter. Die Anrisshöhe ist nicht bekannt und das Lawinenereignis wurde auch nicht an die Rettungsleitstelle gemeldet. Der starke Wind vom Sonntag hat die Anrisskante wieder überweht und somit eine Erkennung aus der Ferne nicht möglich gemacht. Das Problem ist ebenfalls der frisch eingelagerte Triebschnee im gesamten Tagesverlauf (starker Westwind). Erst durch die Eintragung in das LAWIS wurde das Lawinenereignis bekannt.


Lawinenabgang Sigistal (Südost) am 13.01.2024

Ebenfalls am Samstag ereignet sich im Sigistal, kurz vor dem Erreichen der Sigistalhöhe, ein Lawinenabgang. Die beiden sehr erfahrenen und sehr gut vorbereiteten Skitourengeher lösten auf ca. 1800 Meter ein Triebschneebrett aus. Der vorausgehende Alpinist erkannte das mögliche Risiko durch frischen Triebschnee im Vorhinein und ordnete große Abstände an. Aufgrund dieser Entscheidung wurde beim Abgang zum Glück ‚nur‘ die hintere Person teilverschüttet und konnte rasch aus ihrer Lage befreit werden. Auch das dritte Ereignis an diesem Tag passt ins Muster. Mäßige Lawinengefahrenstufe und schwer erkennbare Triebschneeansammlungen im Sektor Ost. Triebschnee ‚lebt‘ nicht ewig bzw. verliert aufgrund mehrerer Faktoren an Aggressivität. Im Laufe der Woche sind aufgrund des drehenden Windes in allen möglichen Expositionen verschiedene Ansammlungen entstanden. Aufgrund dieser unübersichtlichen und vor allem zeitlich unterschiedlich entstanden ‚Pakete‘ war die Einschätzung der Gefahr an diesem Tag überdurchschnittlich schwierig. Ein Restrisiko, das auch bei perfekter Vorbereitung nicht ausgeschlossen werden kann. Genaue Informationen (Größe, Anrisshöhe, etc.) sind nicht bekannt.



Lawinenabgang Gr. Tragl / Jungbauernkreuz (Südost) am 14.01.2024

Dass die Lawinensituation auch am Sonntag weiterhin interessant blieb zeigt der Lawinenabgang am 14.01 um die Mittagszeit im Bereich des Tragls. Bei der Abfahrt löste ein Skitourengeher in 40° Grad steilem Gelände ein Schneebrett aus und wurde ca. 150 Meter mitgerissen. Die Anrisshöhe betrug ca. 30-50cm und die Breite ca. 50m. Die Person wurde weder verschüttet noch verletzt.


Zu einer weiteren Lawinenauslösung kam es zum selben Zeitpunkt unweit der Steirerseehütten.

Tourengeher entdeckten beim Wiederaufstieg Richtung Tauplitz in lichtem Waldgelände das vermutlich selbst oder von Wildtieren ausgelöste Schneebrett. Die Parameter der Steilheit und der Exposition waren gleich wie beim Ereignis im Bereich des Kleinen und Großen Tragls.


Vorherrschende Lawinenwarnstufe 13. - 14.01: Mäßig – Triebschnee über der Waldgrenze!

Achtung: Gefahrenstufe 2 heißt dennoch: Vorsichtige Routenwahl, vor allem an Hängen der im Lawinenlagebericht angegebenen Expositionen und Höhenlagen.

Auffallend ist, dass keiner der Unfälle direkt bei der Rettungsleitstelle OÖ (Notrufnummer 140) gemeldet wurden. Nur durch Recherche und ein großes Netzwerk wurden diese Ereignisse bekannt. Meldungen dieser Lawinen haben aber großen Nutzen für die Lawinenprognostiker des Lawinenlageberichts OÖ. Die Gefahrenstufe kann durch Informationen aus dem Gelände im Bedarfsfall für den nächsten Tag angepasst werden. Ebenso werden die Datenbanken und Statistiken (z.B. Kuratorium für alpine Sicherheit) damit gefüttert und somit die Daten ausgewertet und allerhand nützliche Informationen für den Notfall Lawine bereitgestellt. Ein Vorteil für alle!

Bitte kommuniziert in eurem Bekanntenkreis, dass eine Meldung komplett anonym erfolgen kann und auch keine Konsequenzen und Kosten dabei entstehen. Falsches Ego oder Schamgefühle sollten hier, auch wenn es schwer fällt, ausgeklammert werden.

Falls Material verloren geht, ist es eigentlich ein MUSS eine Meldung abzugeben, da dadurch spätere unnötige Rettungseinsätze vermieden werden können. Achtung: Es muss die definitive Nichtverschüttung von anderen Personen (auch außerhalb der eigenen Gruppe) zu 100% gewährleistet sein. Im Zweifelsfall sollte lieber eine systematische Suche des Lawinenkegels durch die Bergrettung erfolgen.


Bergetter des BRD Windischgarsten bei der systematischen Sondierung eine Lawinenkegels.


Der Ausblick für das aktuelle Wochenende, insbesondere morgen Sonntag 21.01 ist gut. Es sollten keine gravierenden Probleme auftreten – siehe Lawinenlagebericht und Tendenz.

Mitte der nächsten Woche wird sich die Situation wieder maßgeblich ändern. Hohe Temperaturen, Niederschlag und stürmischer Wind führen zu einem Anstieg der Lawinengefahr.


Die Einzelhangbeurteilung

Durch die Anwendung der „Systematischen Schneedeckendiagnose“ (SSD) bzw. der „Vereinfachten Schneedeckendiagnose“ (vSSD – für SSD-Einsteiger) können vor der Befahrung des Einzelhangs mögliche Zutaten für ein Schneebrett lokalisiert werden. Der kleine Blocktest gibt im kürzester Zeit Aufschluss über folgende Kriterien: Ist eine Lawinenauslösung möglich?

Wenn ja – mit welcher Zusatzbelastung? Werden ungünstige Parameter erkannt, kann sofort das Verhalten angepasst werden und das Risiko einer Lawinenauslösung minimiert werden.


Durchführung unzähliger „Systematischer Schneedeckenuntersuchungen“ mittels „Kleiner Block Test“ durch Bergretter der Bergrettung Hinterstoder während der Winterübung am 13.01.24.



Inhalt und Bilder: Robert Kniewasser & Heli Steinmassl (Lawinenreferent BRD OÖ)





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