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  • AutorenbildBergrettung OÖ

Lawinenupdate 4 vom 23.2.2021

Frühlingsgefühle täuschen:

Die warmen Temperaturen und die weit unterdurchschnittlichen Schneemengen täuschen sichere Frühlingsverhältnisse vor. Wir sind noch im Februar, die Nächte sind noch lang, auch die nächtliche Abstrahlung ist noch sehr intensiv. Ab einer gewissen Höhe haben wir immer noch eine hochwinterliche Schneedecke. Auch tagsüber wirkt in den Nordhängen die Abstrahlung, dort haben wir noch Pulver.


Die Vorgeschichte:

Zwischen 5. und 7. Februar 2021 fand bei bestem Wetter und einer begeisterten Mann/Frauenschaft der BRD-Winterkurs1 auf der Wurzeralm statt. Während diesem Kurs wurden viele Schneeprofile gegraben. Aussagekräftig waren Profile in Höhen über 1700m, weil der Regen am WE davor bis auf diese Höhe die Schneedecke angefeuchtet hatte. Viele Profile (in allen Hangrichtungen) zeigten das Altschneeproblem in bodennaher Schicht. Gar nicht weit entfernt, am ersten Tag des Kurses, wurde von einem einzelnen deutschen Tourengeher ein riesiges Schneebrett am Elmplan ausgelöst. Dieser Schwimmschnee, ein klares Altschneeproblem, ist in den ersten beiden Jännerwochen durch die Kälte entstanden. Jetzt ist er durch die Stabilisierung der drauf lagernden kompakten Schneeschicht nicht mehr oder kaum noch auszulösen. Aber der Schwimmschnee ist nicht weggegangen, er ist noch immer da unten drin! Nur an den südseitigen Wiesenhängen hat ihn die Bodenwärme schon aufgelöst.


Neues Problem entstand am Dienstag vor einer Woche:

Plötzlich haben wir eine neue sehr tückische und spannende Situation, speziell in Höhenlagen über 1700m.

Während des Winterkurses 1 hatten wir auf der harten (Regen)Kruste eine Pulverschneeauflage von 5 bis 15 cm. Durch Wind und Sonne ist der Pulver teilweise weggeblasen oder in Schmelzharsch umgewandelt worden.


Dann, vom 9. bis 15. Februar, kam die Kältewelle:

Durch intensive nächtliche Abstrahlung erreichten die Oberflächentemperaturen so richtige Extremwerte! ZB am Krippenstein am 12.2. (von 5:00-8:00) minus 35 Grad! (Danke Michael Gruber für den Hinweis).

Dieser extreme Kälteeinfluss hat schnell wieder super Eisfälle aufgebaut aber auch unseren Pulverschnee in nur wenigen Tagen in Schwimmschnee umgewandet. Förderlich war dabei der darunter liegende alte Schnee, der durch den Regen zwei Wochen vorher schon fast auf Null Grad erwärmt war. Das ergibt ein sehr ungünstiges Temperaturgefälle und eine stark aufbauende Schneeumwandlung. Solange dieser Schwimmschnee nicht eingeschneit wird, macht das ja nix aus, er ist sogar ziemlich gut zum Abfahren.


Auf KALT folgt WARM

Am Dienstag den 16.2. war der erste warme Tag, zuerst mit Schneefall herunter bis 1000 m. Im Tagesverlauf kam die große Wärme, die Frostgrenze stieg abends kurzzeitig bis auf 2300m hinauf. Wer an dem Tag unterwegs war, weiß ein Klagelied vom endlos anstollenden Schnee zu singen. Obenauf Papp, unten kalter Gries.

Mit diesem Wärmeeinbruch dachte ich, dass sich der Schwimmschnee Gottseidank auflösen würde, bevor er wieder eingeschneit wird.

ABER:

Die Wärme drang nur 5 cm in die Schwimmschneeschicht ein! Die stark unterkühlte Schneeoberfläche ließ die Nässe nicht tiefer eindringen.

Das ergab eine sehr tückische Situation:

Dort wo der Schwimmschnee weniger als 5cm Dicke hatte, ist er zur Gänze in Nasschnee umgewandelt worden und somit keine Schwachschicht mehr.

Dort wo die Mächtigkeit des Schwimmschnees mehr als 5 cm war, ist der Schwimmschnee unter dem warmen Schneepapp vom Dienstag erhalten geblieben.


Das heißt: Am Di. den 16.2.21 ist ein NEUES ALTSCHNEEPROBLEM entstanden!!

Am Mittwoch fiel oberhalb 1300 m bei starkem Westwind 10 bis 20 cm Neuschnee. Am Mittwoch hat ein Tourengeher am Stubwies-Gipfelhang ein Schneebrett losgetreten, auf genau dieser Schwimmschneeunterlage.

Mehrere Profile, die ich selber seit letzten Mittwoch in den verschiedenen Gebieten grub, bestätigten eine leicht auszulösende Schicht in 15 -25 cm Tiefe, bei eingewehten Flächen ist auch dementsprechend mehr Schnee darauf eingelagert. Nicht gefunden habe ich diese Schicht in den Westhängen, dort wurde der Pulver schon vor der Umwandlung weggeweht. Auch in den Südhängen ist dieses Problem nur an wenigen Stellen zu finden.


Dann das Wochenende:

Frühlingshafte Temperaturen lassen uns auch schnell vergessen, dass wenige Tage davor noch bis zu - 35 Grad auf die Schneedecke einwirkten!


Zwei Zwischenfälle sind uns bekannt:


20.2.21 Schilehrerweg

Am Schilehrerweg, der kürzeste Aufstieg aufs Warscheneck, war am WE reger Betrieb. Die logische Linie umgeht rechts durch eine steile Rinne die Felsstufen. Manche nehmen den Schilehrerweg nur als Aufstieg und fahren über Rossarsch, Zellerhütte, oder Kl. Loigistal ab. Manche fahren/steigen auch hier wieder ab.

Am Tag des Unfalls war die Aufstiegsspur beim Stahlseil auch Mittags noch relativ hart. Manche verwendeten sogar Steigeisen. Die übrigen Hangpartien waren oberflächlich firnig angefeuchtet.


Die Lawine: Anriss in 2250 m Seehöhe. Ausrichtung Süd. 30-40 m Breite. Trockenes Schneebrett. Punktkorn. Höhenunterschied der Lawine ca. 200m. Gefahrestufe war 2 oberhalb 1800 m, nachmittags durch den Tagesgang oberhalb 1500 m.


Am Anriss sieht man die Einfahrtsspur und die Fluchtspur des Zweiten zum Felsen. Sie sind mit Abstand in den Hang eingefahren. Da beide gleichzeitig im Hang waren, ist nicht klar wer den entscheidenden Impuls für die Auslösung setzte. Normal bricht der Hang dort, wo eine geringere Mächtigkeit vorhanden ist. Generell wäre es natürlich in so ausgesetzten Steilhängen noch sicherer, zu einem sicheren Sammelplatz zu fahren und dann erst dem Nächsten das Signal zum Losfahren zu geben. Diese Strategie hätte vermutlich ein Menschenleben gerettet.

Der Erste wurde vom Schneebrett erfasst und über die felsige Steilstufe mitgerissen. Für ihn kam aufgrund schwerer Kopfverletzungen jede Hilfe zu spät. Bei der Gruppe mitten im Lawinenkegel kam der Verunglückte zu liegen.



Die Anrissmächtigkeit lag zwischen 10 und 95 cm, vom Westwind am Di u Mi in den eindeutigen Leebereich ungleichmäßig eingelagert.

Triebschnee als Ursache scheidet aus, da bei diesen recht milden Temperaturverlauf eine gute Verbindung auch zu einer harten Schmelzharschschicht innerhalb von 2 Tagen stattfindet.

Oberflächenreif scheidet auch aus, da die Wärme am Dienstag diesen zunichte gemacht hätte.

Graupel ist es auch nicht gewesen, denn der ist nur im obersten Bereich des Neuschnees zu finden, dürfte erst am Mittwoch am Schluss des letzten Niederschlags dazu gekommen sein.

Auch die (von den meisten angenommene Ursache:) Aufweichung der Schneeoberfläche war nicht schuld. Sie drang nur bis zu 10 cm, an extremen Stellen bis zu 15cm ein. Die Anrissebene lag durchwegs tiefer. Das Schneebrett war trocken!


Die Alpinpolizei (Martin Fischer und Klaus Berger) und Bergretter und -führer Robert Kniewasser (Fotos) bei der Profilaufnahme.


Links hinten Warscheneckgipfel. Im Vordergrund die neuen Einfahrtsspuren, die nach dem Abgang dazu kamen. Vermutlich hat keiner von den Tourengehern die Schneedecke angeschaut. (Foto von Martin Schöngruber)


Auch am Sonntag herrschte wieder reger Betrieb am Schilehrerweg. Unterhalb der unteren zwei Tourengeher liegt ein Teil der Ablagerungen. Der Rest ist über die Felskannte ins Brunnsteinerkar gestürzt.


20.2.21 Kl Pyhrgas Ostflanke um 11:30.

Gleiche tückische Unterlage, die Gleitschicht ist die Schwimmschneeschicht auf dem harten Schmelzharsch.

Bild und Text von Michi Steiner: Ein Tourengeher hat innerhalb ca. 10 Min 3 Schneebretter ausgelöst. Rot, Grün, blau. Rot und Blau haben ihn nicht mitgerissen. In der Annahme, dass nach dem ersten Schneebrett die Lage entspannt sei, hat er seine Fahrt fortgesetzt. Grün hat ihn dann einige Meter mitgerissen, er konnte jedoch aus seiner Sicht links zu den Felsen ausqueren. Er mußte einige Meter hinaufstapfen, um oberhalb der Felsen weiterfahren zu können. Er hat mit der Hüfte den Felsen touchiert, jedoch ohne schwere Verletzungen. In Rosa ist sein ungefährer Weg eingezeichnet. Wir haben ihm vom Gipfel aus zugesehen. Der Tourengeher hat 140 angerufen, um zu entwarnen, weil es zahlreiche Zeugen des Ereignisses gab. Wir haben den BRD Spital verständigt.


FAZIT:

Den Witterungsablauf zumindest der letzten Woche oder sogar der letzten beiden Wochen sollte ich bei jeder Tour im Blick haben. Diese Kältewelle kann an niemanden spurlos vorübergegangen sein, sowas muss sich im Kopf einprägen! Eine Kältewelle, besonders mit anschließendem Schneefall ist immer ein Alarmzeichen!

Und einmal hineingraben, auch bei sicher wirkenden Verhältnissen, auch bei einem 2er, und die Schneedecke anschauen, würde sehr heilsam sein. Alleine beim Graben hätte auch jeder Laie gespürt, wie schlecht diese Schicht verbunden ist.



LG v Heli

Lawinenreferent der Bergrettung OÖ

Heli Steinmaßl staatlich gepr. Berg+Schiführer Gleinkerau 19 4582 Spital am Pyhrn Mobil: 0664/9251251 Mail: heli.steinmassl@aon.at

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