Unser Lawineninfo ist gedacht für alle, die sich mit Schnee und Lawinen auseinandersetzen wollen.
Wir sammeln Lawinenereignisse, versuchen sie zu analysieren und wollen unsere Beobachtungen über die ständige Veränderung der Schneedecke mit euch teilen. Wir haben 2 Wochen hinter uns, in denen sich die Schneedecke und die Lawinensituation extrem rasch veränderte.
Fr. 3.2.2023: Riesenlawine auf dem Dachstein, spontan, keine Personenbeteiligung
Infos und Bilder wurden
zusammengetragen von den
Bergrettern Klaus Berger, Alex
Binder, Michael Gruber,
Manfred Hiebl, Robert
Kniewasser, Gerald Lehner, Paul
Sodamin, Heli Steinmassl und
der Flugpolizei
Riesenlawine am Dachstein:
Vor drei Jahren sind 5 Alpinisten
aus Tschechien in diesem Hang
durch ein riesiges Schneebrett
ums Leben gekommen. Die
Lawine haben sie vermutlich
selbst ausgelöst. Diesmal ist die
Lawine noch größer und
mächtiger, ist aber spontan, also
ohne Personenbeteiligung
abgegangen. Die Anrißdicke wird auf 3 bis 4 Meter geschätzt. Laut Wilfried Schrempf, dem Wirt der Seethalerhütte, ist die Lawine bereits am Freitag abgegangen. Gottseidank war das Wetter so schlecht, dass an diesem Tag niemand auf den Dachstein gestiegen ist.
Der letzte große Schneefall:
Nach bzw. während dem
intensiven Schneefall am Do. 2.,
Fr. 3. und Sa. 4. Februar sind
riesige Lockerschnee- und
Schneebrettlawinen
abgegangen. Viele Anrisse kann
man, obwohl sie zT. wieder
eingeschneit bzw. überweht
wurden, immer noch sehen.
Paul Sodamin hat etwas links von der
Dachstein-Lawine, in 2750m Seehöhe
eine Schneeprofilaufnahme gemacht.
Die Lawine ging genau über den Zustieg
zur Randkluft, also den Normalanstieg
auf den Dachstein.
Es sind 2 Gleithorizonte in der
Schneedecke!
Die Bilder zeigen die Schwachschichten.
Auslösung beim Compression-Test:
CT 3 und der nächste CT 5
Vorsicht ist geboten.
Abstand halten wäre sehr sinnvoll!
Was war die Ursache für diesen
extrem labilen Moment?
Die Kombination von viel Neuschnee,
starkem Wind und rasche Erwärmung,
mit Plusgraden, kurzfristig bis ins
Mittelgebirge, so wie es Freitag Nacht der Fall war, schaffen einen extrem labilen Moment, der allerdings zeitlich eingegrenzt war. Samstag Nachmittag war durch die Abkühlung das Schlimmste schon wieder vorbei.
Klaus Hoi hat schon früher das Wort
„Lawinenzeiten“ geprägt. Und genau
diese drei Tage (2.-4.2.2023) waren ein
solche, sie waren die schärfsten Tage
des bisherigen Winters. Eine extrem
lawinenaktive Zeit, in der man sich sehr
defensiv verhalten muss um zu
überleben. In solchen Zeiten meidet
man jeden Hang über 30 Grad. Zugleich
muss man großräumig jedes
Einzugsgebiet von weiter oben
berücksichtigen. Lawinen können in
solchen Zeiten auch sehr große
Ausmaße erreichen.
Diese Lawinenzeit fordert 8
Lawinentote in Österreich.
Die österreichische Bergrettung musste
zu 25 Lawineneinsätzen alleine am
Samstag den 4.2. ausrücken! Es ist sehr wichtig, diese Lawinenzeiten rechtzeitig zu erkennen, es sind meistens nur sehr wenige Tage pro Winter, und gerade dann auf steile
Hänge zu verzichten.
Fr. 3.2.2023: Gosau Zwieslalm, Gefahrenstufe 4 (Bericht unter Bergrettung OÖ-Aktuelles)
Am Freitagvormittag ereignete sich im Bereich der Zwieselalm im freien Skiraum ein
Lawinenabgang, bei dem eine Person vollständig verschüttet wurde. Eine fünfköpfige Gruppe von Skifahrern und Snowboardern wollte in einen Hang abseits der gesicherten Pisten einfahren. Der als erster fahrende Snowboarder löste unterhalb der Bergstation der Zwieselalm Panorama-Jet Bahn ein Schneebrett aus. Der Snowboarder wurde durch die Schneemassen mitgerissen und vollständig verschüttet. Nach der Alarmierung begannen die anderen Gruppenmitglieder mit der Suche. Der Snowboarder konnte nach kurzer Suche geortet und befreit werden. Allerdings zog sich der Mann schwere Verletzung zu und wurde mit dem Rettungshubschrauber in das Krankenhaus geflogen. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass auch andere Personen betroffen sind, wurde eine großangelegte Rettungsaktion mit über 80 Bergrettern aus den umliegenden Bergrettungsortstellen und fünf Hubschraubern eingeleitet.
Es ist erschreckend, dass trotz intensiver Warnungen bei Gefahrenstufe 4, so viele Variantenfahrer in diesen Steilhang einfuhren.
Fr. 3.2.2023: Viele Lawinenauslösungen
Viele weitere SchneebreFer konnten erst bei klarer Sicht ab 4.2.2023 gesehen werden, sie alle sind am Freitag Abend (3.2.) oder am Samstag (4.2.) in den frühen Morgenstunden abgegangen.
Gr. Priel Kühkar
Warscheneck, Glöcklkar
Gr. Pyhrgas Südost
Temelberg, Klinserschlucht
Merkenstein, Sengsengebirge
Schobertal
Warscheneck
Wassertal
Dietlhöll
Tragl, Tauplitz
Wassertal, Lawinenkegel
Sa. 5.2.2023: Durch den letzten Schneefall wurde Graupel eingelagert!
Normalerweise ist Graupel ein „warmer“ Schnee, entsteht etwa bei 0 Grad, oft bei Wintergewitter. Er bindet sich relativ rasch mit den anderen Schichten. Hier jedoch,
wurde die Graupelschicht durch die extreme Kälte konserviert und diente als Kugellager-Gleitschicht.
Sogar eine Woche später war sie noch mit großer Zusatzbelastung ansprechbar!
In manchen Hängen konnten wir sogar 2 Graupelschichten finden.
Die Luft + Oberflächentemperatur bewirkten darüberhinaus ab Sonntag Abend (6.2.) eine schnell einsetzende aufbauende Umwandlung der oberen Schneeschicht. Und in den
klirrenden klaren Nächte entstand zusätzlich Oberflächenreif.
Teilweise flächendeckend eingeschneiter Graupel Hier auf 2 Ebenen
6. - 10.2.2023: Extreme Kälte
Mehrere Tage lang, von Montag bis Donnerstag herrschten Lufttemperaturen von Minus 10 bis 20 Grad! Die Schneeoberflächentemperatur erreichte durch die starke Abstrahlung in den klaren Nächten fast Minus 30 Grad! Da wir in OÖ zu wenig Wetterstationen für das Tote Gebirge haben, nehme ich gerne die steirischen Stationen Loser oder Tauplitz als Referenz.
Beim Anblick dieser kalten Tage auf den Wetterstatonen, müssen sofort die Alarmglocken läuten!
Dabei entsteht innerhalb weniger Tage eine gefriergetrocknete Schneeoberfläche, also
Schwimmschnee. Die Gefahr beginnt aber erst dann, wenn er eingeschneit oder mit Triebschnee überlagert wird. Nur Wärme vor dem nächsten Schneefall könnte ihn zerstören.
Mi. 8.2.2023 Zu allem Überfluss kam auch noch der kalte Südostwind dazu!
Es ist sehr erstaunlich, wie schnell sich die Schneedecke verändert. War am Sonntag gerade noch die Neuschneemenge mit Gefahrenstufe 4 das vorherrschende Thema, ist zwei Tage später die Gefahrenstufe auf 2 heruntergestuft. Im nächsten Moment beschäftigt uns aber der kalte
Südostwind mit seinen starken Verfrachtungen. Und am Mittwoch konnte man südseitig schon schöne Firntouren unternehmen!
Der SO-Wind begann am Mittwoch (8.2.) mittags (siehe Wetterstation Loser) und dauerte bis
Donnerstag mittags. Der schöne Pulver wurde großteils verblasen. Die Windgeschwindigkeiten erreichten 60 bis 80 km/h! Bei dieser Windstärke ist innerhalb 24 Stunden ganz schön viel Schnee verfrachtet worden. In den Föhnbereichen (Warscheneck Nord, Hallermauern Nord) wurde der Schnee auch weit unter der Waldgrenze verfrachtet.
Do. 9.2.2023 Dieses Schneebrett wurde im Bereich Laglalm von einer Person ausgelöst.
Innerhalb 24 Stunden ist ein 80 cm dickes Triebschneepaket eingeweht worden!
2 Tourengeher waren auf den Mannsberg gestiegen und kürzten bei der Abfahrt den Rückweg mit einer Querung durch den Steilhang ab. Auf 1340 m passierte es: der erste
Tourengeher löste das Schneebrett aus. Sie befanden sich gerade 200 m westlich der Laglalmhütte in einem sehr steilen Nordnordosthang. Durch die Belastung des Tourengeher
wurde das harte Brett ausgelöst. Der Mann wurde 200 m mitgerissen, prallte gegen einen Baum, wurde aber nicht verschüttet. Er erlitt Kopf- und Knieverletzungen.
Das Schneebrett: Nordhang Anriss 48 Grad steil Rutschbahn etwa 35 Grad Trocken
40 m breit bis zu 80 cm dick. Extrem hartes frisch eingewehtes Triebschneepaket. Der
Mitgerissene hatte zwar ein Pieps aber weder Schaufel noch Sonde dabei.
Der Südostwind hat von Mittwoch Mittag bis Donnerstag Mittag starke Verfrachtungen in die Nord und Westhänge bewirkt. Die Reakton der Beteiligten: Es war ja eh nur ein Einser!
Wintersportler reagieren auf offensichtliche Gefahren gar nicht oder viel zu langsam!
Hinterstoder:
Schneeschlitzspitz - Westrinne
Roter Punkt: Schneebrett
Wir beobachten häufig, dass nur sehr wenigen Wintersportlern bewußt ist, wie schnell sich die Lawinengefahr verändern kann, wie hier durch den beginnenden starken Wind, wo die Gefahr plötzlich um
ein Vielfaches höher ist! Viele reagieren auf Schnee oder Wetterveränderungen gar nicht und bleiben trotz dem zB. einsetzenden Wind bei ihrem ursprünglich
angestrebten Tourenziel, anstatt sofort umzudenken und sich für eine windstillere und sicherere Variante zu entscheiden.
Leider haben wir in OÖ in den Gebieten Hallermauern und Totes Gebirge viel zu wenig Wetterstationen, sodass
man auf keiner Station die Heftigkeit dieses SO-Windes so richtig erkennen konnte. Sogar die Station Arlingsattel,
die genau in einer Föhnschneiße steht, liegt bei starkem Ost- oder Südwind im Windschatten.
Do. 9.2.2023 Auch in Hinterstoder lösen
Tourengeher ein Schneebrett aus
In Talabschluss von Hinterstoder, in der
Schneeschlitzspitz-Westrinne oberhalb des Poppensandes, haben 2 Tourengeher im Auslaufbereich der steilen Westrinne ein Brett ausgelöst. Sie hielten keine Abstände. Nix passiert.
Der Südostwind hatte ab Mittwoch Nachmittag Schneemassen stark in die Nord und Westhänge verfrachtet. Diese Westrinne ist eine typische Föhnrinne, hier legt sich bei südlicher Strömung der Föhnwind voll hinein und bläst durch die ganze Rinne hinunter.
Sa. 11.2.2023 haben Tourengeher am Kl. Priel im Stücklerkar ein Schneebrett ausgelöst
Eine Tourengehergruppe hatte am Ende
des Kares, im hintersten Winkel, im
Aufstieg, ein Schneebrett fernausgelöst.
Exposition Nordost.
Seehöhe: 1450 m
Anriss ca 40 - 45 Grad
50 cm Anrisshöhe
50 m Breite
Entlastungsabstände waren vorhanden.
Durch Flucht gab es keine Verschüttung.
Die Ursache dürfe auch hier der Südostwind gewesen sein. Am linken Rand sieht man eine kleine Staublawine, ein eindeutges Zeichen dafür, dass oben wieder starker Wind eingesetzt hat.
Blankeis in den Gipfelregionen. Die starken Winde (am Feuerkogel bis 144
kmh) haben die ausgesetzten
Gipfelbereiche und windexponierte Stellen
in einen Eislaufplatz verwandelt.
Harscheisen und/oder Steigeisen sind
dringend zu empfehlen.
Gleitlawinen, Fließlawine,
Kriechlawine, Grundlawine
Vier Bezeichnungen für die
selbe Lawinenart.
Sehr typisch dafür ist:
Es klaffen immer zuerst
Schneemäuler auf. Eine gewisse
Schneemächtigkeit ist
Grundvoraussetzung und der
Untergrund ist meist Gras.
Nach dem großen Schneefall
werden besonders an den
momentan wärmeren Tagen
Gleit- bzw. Fließlawinen aktiv.
Sie gleiten nur sehr langsam ab,
oft nur ein paar cm pro Tag.
Auch mit großer Zusatzbelastungen oder
Sprengungen kann man solche
langsam kriechende Lawinen nicht aus der Ruhe bringen Diese Grundlawinen sind
kalkulierbar und offensichtlich, nicht so tückisch wie Schneebrettlawinen.
Danke an alle mitwirkenden Kameraden:
Infos und Bilder wurden zusammengetragen von Klaus Berger, Alex Binder, Michael Gruber,
Manfred Hiebl, Robert Kniewasser, Gerald Lehner, Paul Sodamin, Heli Steinmassl und der
Flugpolizei
Heli Steinmassl, Lawinenreferent der Bergrettung OÖ
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